"Bei meinen Arbeiten geht es nicht um mich als Person, ich mache keine Selbstportraits. Ich verwende meinen Körper als künstlerisches Medium. Da
ich von der Performance komme, generiere ich meine Ideen über das Körperliche."
Elisa Andessner
Martin Hochleitner
Meine einleitende Parallelgeschichte zu Elisa Andessners Grafikserie „Being Human“ von 2017 erzählt von einem 1946 begonnen Projekt, das 2025 abgeschlossen sein soll. Es handelt sich dabei um „Goethes Wörterbuch“, in dessen Rahmen alle von Johann Wolfgang von Goethe jemals verwendeten Wörter systematisch untersucht werden. Das „Mammutprojekt der Lexikografie“ wurde von Wolfgang Schadewaldt an der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin initiiert und wird seit dem kontinuierlich verfolgt. Nachdem bis in die 1960er Jahre zunächst alle Wörter aus den Schriften Goethes exzerpiert und quantitativ erfasst worden waren, werden sie seit Jahrzehnten qualitativ beforscht. Als Ziel des Vorhabens gilt die Darstellung der Bedeutungsschichten von Goethes gesamtem Sprachbestand. Das Lexikon widmet sich deshalb sowohl dem Kontext der einzelnen Wörter im Werk Goethes als auch ihrer Bedeutung zum damaligen Zeitpunkt und macht gerade dadurch den Wandel von Sprache und Begriffen sichtbar. 2018 finden sich in der Online-Version des Goethe-Wörterbuches Einträge bis zum Buchstaben M. In Summe wurden rund 93.000 Worte in Goethes Gesamtwerk ausgemacht. Ihre Bearbeitung soll letztlich einen „umfassenden Thesaurus der Goethezeit sowie ein Nachschlagewerk für unterschiedlichste, sprach- und literaturgeschichtliche, kultur-, geistes- und realgeschichtliche Sachinteressen“[1] ergeben.
Wenn nunmehr Elisa Andessner mit ihrer Serie „Being Human“ ein konkretes Buch („The Observer’s Book of Furniture“ von John Woodforde) aus den 1960er Jahren
bearbeitet und sich Seite für Seite seinen Abbildungen und ausgewählten Worten widmet, so schafft sie damit ein prinzipiell ähnlich gelagertes System der - nunmehr künstlerisch intendierten –
Beforschung und Personalisierung von Sprache. Andessner geht ebenfalls vom einzelnen Wort aus. Seine Exzerption erfolgt bei ihrem Projekt durch einen malerischen bzw. gestalterischen
Prozess. Die jeweilige Auswahl ergibt sich durch die Aussparung von Wörtern. Sie werden in dem mit weißer Farbe ausgelöschtem Text einerseits sichtbar. Andererseits bilden sie in ihrer Auswahl
auf Andessners „Tabula rasa“ auch einen neu konstruierten Kontext von Begriffen aus. Diesen lässt die Künstlerin schließlich auf jedem Blatt ihrer Serie mit den Illustrationen des Buches
interagieren.
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[1]http://gwb.uni-trier.de/de/ (14. Jänner 2018).
Was das Goethe-Wörterbuch und Elisa Andessners Projekt zudem verbindet, ist eine bemerkenswerte Ausrichtung auf den Menschen. Die Wortsammlung Andessners ist auf seine Beschreibung hinsichtlich Charakter, Handlung, Gefühl, Sprache oder Körperlichkeit ausgerichtet. Beim Lexikon zielt die Wortanalyse auf die Darstellung der geistig-moralischen Erneuerung des Menschen als Konzept der deutschen Klassik ab.
Als weitere Parallele ist die Sprache in beiden Projekten an die Dimension der Zeit gekoppelt. Hier die Zeit Goethes. Da die Zeit von John Woodforde. Beide in ein Spannungsfeld zur Gegenwart gesetzt und gerade aus dieser Differenz heraus in ihrer spezifischen Dimension erfahrbar gemacht. Bei Andessners Serie „Being Human“ spielen in diesem Zusammenhang auch die abgebildeten Möbelstücke eine besondere Rolle. Sie scheinen in allen Blättern selbst wie Personifikationen zu funktionieren und die Themen Mensch und Zeit nochmals eigens zu transformieren. Möbel und Worte finden sich so bei Andessner in einen ganz spezifischen Dialog gestellt. Sie begegnen sich in einem transitorischen Zustand, der sowohl von der Spurensuche einer Künstlerin in einem konkreten Buch als auch von ihren semantischen und assoziativen Brückenschlägen zwischen der Text- und Bildebene erzählen kann.
Das Resultat macht „Being Human“ zu einem visualisierten Bild- und Wortschatz Elisa Andessners. Die feine und behutsame Ästhetik der gesamten Serie
erzählt von Andessners „subjektiv gefärbter, emotional intensivierender und assoziativ reflektierender“[2] Behandlung eines Buches. Dass mit diesem Zitat aus dem Goethe-Wörterbuch der
Begriff der Lyrik im Werk des Dichters beschreiben wird, ist ein schöner Zufall, der Vieles erzählt ohne letztlich die malerisch bedeckten Zwischenräumen der Serie
preiszugeben.
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[2]http://woerterbuchnetz.de/cgi bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=GWB&mode=Vernetzung&lemid=JL03598#XJL03598 (14. Jänner 2018).